Zwei Monate psychosomatische Tagesklinik - Teil 2 - Fashion Kitchen
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Zwei Monate psychosomatische Tagesklinik – Teil 2 und Hier gehts zu Teil 1.

Die Zeit bis zur Aufnahme in die Tagesklinik am 1. April. Habe ich recht gut überbrücken können. Und es ging mir mit den Medikamenten von Tag zu Tag besser. Mir tat die Struktur bzw. der Ablauf mit meinen Eltern sehr gut. Ich brauchte einfach ein paar Vorgaben, um wieder klar zu kommen.

Sechs Wochen später, war es soweit. Mein 1. Tag in der Tagesklinik war gekommen. Und ich freute mich. Sehr sogar. Ich setzte große Hoffnung in die Zeit in der Klinik, um wieder gesund und glücklich zu werden. Genau das schrieb ich auch in den Fragebogen. Denn nichts anderes wollte ich. Glücklich und gesund sein. Aber es war und ist ein langer, steiniger Weg.

Ich wurde sofort ganz herzlich von allen aufgenommen und war zu diesem Zeitpunkt mit die Jüngste in der Tagesklinik und in meiner Gruppe. Ich hatte auch sofort einen Spitznamen – Schäfchen. Fragt mich nicht warum, aber ich fand es schön, gleich so „dabei“ zu sein. Es waren alle unglaublich nett und einfühlsam. Nicht nur die Mitpatienten, sondern auch alle Betreuer, Therapeuten und Ärzte. Meine „Patin“ zeigte mir alles und erzählte, wie der tägliche Ablauf so ist.

Zwei Monate psychosomatische Tagesklinik – Teil 2

Zwei Monate psychosomatische Tagesklinik - Teil 2

Jeder bekam einen Stundenplan, mit den verschiedenen Therapien, Gruppen und Aktivitäten. Ich freute mich unglaublich, wusste aber auch, dass es sehr viel Kraft kosten würde. Denn die Arbeit an sich selbst, ist das Schwierigste überhaupt.

Ich hatte mich schnell eingelebt und blühte jeden Tag ein bisschen mehr auf. Die Einzelgespräche mit der Psychologin, Außenaktivitäten, die Kunst- und Ergotherapie, Akupunktur, Spaziergänge, Nordic Walking, Bouldern, Resilienz Training, Genussgruppe, Autogenes Training, Gesprächsgruppe, Psychotherapie Gruppe, Psychoedukation, Atementspannung, Stabilisierungsgruppe, usw. All das stand auf der Tagesordnung bzw. dem Wochenplan.

Es gab wieder eine Struktur und mein Leben hatte Organisation. Genau das brauchte ich jetzt. Und eben die Gespräche mit den Mitpatienten, Psychologen und Therapeuten. Mir hat haben die zwei Monate in der Tagesklinik so viel gebracht, ich hatte so viele Schlüsselerlebnisse und AHA-Momente. Es hat mir selbst manchmal Angst gemacht, wie es mir immer wieder, wie Schuppen von den Augen gefallen ist.

„Kann es sein, dass Sie ein Workoholic sind?“

Zwei Monate psychosomatische Tagesklinik - Teil 2

Der erste „Klick“ war bei der ersten Visite. Der Arzt fragte ein paar Dinge ab und wir redeten ein bisschen. Dann fragte ich, ob ich meine Lücken im Wochenplan noch etwas auffüllen könnte, da ich nicht untätig rumsitzen möchte. Stille. Alle sahen mich schmunzelnd an. Dann ergriff der Oberarzt das Wort. „Frau Weber, kann es sein, dass Sie ein Workoholic sind?“ Ich war wie erstarrt und brachte zuerst kein Wort raus. Dann folgte ein zaghaftes „ja?“. Der Oberarzt lächelte „Wir haben uns schon etwas dabei gedacht, in Ihren Plan „Lücken“ mit einzubauen. Sie sollen zur Ruhe kommen und runter fahren. Sich vielleicht sogar mal langweilen. Setzen Sie sich raus, lesen Sie ein Buchen, malen Sie oder machen Sie ein Puzzle. Sie sind hier, um wieder gesund zu werden.“

Ich war wie vom Blitz getroffen. Er hatte vollkommen Recht! Warum musste mir das erst jemand sooo deutlich sagen? Warum habe ich das selbst nicht gesehen und kapiert?! Ich war wirklich sprachlos. Stand auf, verabschiedete mich und ging zurück in meine Gruppe. Ich setzte mich an meinen Platz und sagte kein Wort. Ein Mitpatient fragte mich, ob alles „ok“ sei. Ich konnte zuerst gar nichts sagen und erzählte dann der Gruppe mein Erlebnis. Ich realisierte es jetzt immer mehr. Schließlich setzte ich mich hin, nahm mein Buch und las. Eine ganze Stunde lang, denn ich hatte eine Lücke in meinem Plan und die nutze ich für mich.

Mit einem gebrochenen Bein geht man zum Arzt, warum also nicht auch mit einer gebrochenen Seele?

Zwei Monate psychosomatische Tagesklinik - Teil 2

Es gibt noch so viele dieser kleinen Momente, die etwas in mir ausgelöst und mit mir gemacht haben. Und ich möchte sie gerne mit Euch teilen, denn vielleicht bringt es dem einen oder anderen etwas. Vielleicht kann ich jemanden den letzten Schubser geben, um sich auch endlich Hilfe zu holen oder für eine Therapie oder Klinikaufenthalt anzumelden. Es ist keine Schwäche zuzugeben, dass man nicht mehr kann oder krank ist. Das ist stark! Absolut stark! Denn man gesteht sich ein, dass etwas nicht stimmt und man dieses Problem löschen möchte. Mit einem gebrochenen Bein geht man ja auch zum Arzt, warum also nicht auch mit einer gebrochenen Seele?

Habt keine Angst und kommt Euch auch nicht blöd vor. Es ist Euer Leben, Eure Krankheit und keiner weiß, was in Euch vorgeht oder wie sehr Ihr leidet. Holt Euch jede Hilfe, die Ihr bekommen könnt. Ich war auch einige Stunden bei der Hypnosetherapie, gehe jetzt regelmäßig zum Yoga, mache Autogenes Training, usw. Ich bin nach wie vor in psychologischer bzw. ärztlicher Betreuung und sehr dankbar dafür.

Wegen verschiedener Medikamente durfte ich knapp ein halbes Jahr nicht Auto fahren. Aber mittlerweile konnte und wollte ich das Medikament absetzen und darf wieder hinters Steuer. Antidepressiva nehme ich aber weiterhin und das wird auch noch eine ganze Weile so bleiben. Ich bin noch lange nicht gesund, aber im Gegensatz zu vor einigen Monaten, geht es mir gerade gut.

Gesund und Glücklich sein, nichts will ich mehr!

Zwei Monate psychosomatische Tagesklinik - Teil 2

Es liegt noch viel Arbeit vor mir, aber durch die Unterstützung meiner Familie, meiner neuen Liebe und mir selbst, kann ich sagen, dass ich auf dem besten Weg bin, gesund und glücklich zu werden. Glücklich bin ich schon an vielen Tagen. Ich gönne mir dieses Gefühl jetzt wieder. Das konnte ich vorher nicht so wirklich zulassen. Warum weiß ich nicht. Aber jetzt kommt dieses Gefühl von „glücklich sein“ so gut wie täglich in mir auf und ich bin sehr dankbar dafür!

Ich möchte Euch an meinen Erfahrungen teilhaben lassen und gehe mit meiner Diagnose „schwere widerkehrende Depression (Burnout) und Panikstörung“ offen um. Warum auch nicht. Es ist ein Teil von mir und den werde ich nicht verstecken.

In den nächsten Wochen und Monaten werde ich auf verschiedene Punkte, intensiver eingehen. Falls Ihr noch Fragen habt, dann stellt sie gerne.

Jetzt aber, muss ich mich erst mal ein bisschen ausruhen. Denn so offen über seine Gefühle zu reden kostet Kraft, ist anstrengend und unglaublich harte Arbeit an sich selbst. Auch die eine oder andere Träne ist geflossen, da ich mich mit einigen Punkten auch immer noch selbst triggere. Aber das bekomme ich auch noch in den Griff. Das ist alles ein Prozess und jeder Schritt ist wichtig. Auch Rückschritte gehören dazu und müssen sogar sein, um verschiedene Dinge zu verstehen und besser zu machen. Aus Fehlern lernt man und ich habe mir vorgenommen, diese Fehler aus der Vergangenheit nie mehr zu machen.

Rückblickend kann ich aber sagen, dass die Therapie in der psychosomatischen Tagesklinik (und auch damals in der stationären Klinik) mir so unfassbar viel gebracht hat. Falls Ihr also überlegt, ob Ihr diesen Weg gehen sollt. Tut es. Es bringt Euch so so viel. Danach werdet Ihr sagen „Warum habe ich das nicht schon viel früher gemacht?!“. Man lernt so viele neue Facetten von sich kennen, sieht Dinge mit anderen Augen und lernt besser mit Situationen und Problemen umzugehen. Und das ist unglaublich wichtig.

Zwei Monate psychosomatische Tagesklinik – Teil 1

Comments:

  • Ina

    17. Juli 2022

    Vielen dank für deine Offenheit und den Mut deine Geschichte zu teilen 💜💜

    reply...
  • Cherokee & Bailey

    21. Juli 2022

    Liebe Ann-Kathrin,
    danke für dir deine Geschichte.
    Ich musste beim ersten Teil tatsächlich pausieren. Jetzt habe ich beide Teile gelesen. Mit geht es da ähnlich und habe während ich deine Zeilen gelesen habe, nur geweint
    Ich freu mich für dich, dass es dir wieder besser geht und es macht mir Mut.
    Ende letzten Jahres hatte ich ebenfalls eine Panikattacke und bin damit auch ins Krankenhaus gekommen.
    Es äußerst sich bei mir so, das ich angespannt bin und mir alles weh tut. Da war es zuerst. Brustkorb. Ich bekam Angst, es könne was schlimmeres sein, mit Schwindel.
    Diagnose war psychosomatische Probleme. Zwischendurch kommen immer wieder Angstzustände. Vor ein paar Wochen war ich beim Arzt, auf meine Frage hin, was kann ich tun, bekamm ich die Antwort, es ist schwierig. Ich soll mich ablenken, spazieren gehen usw. Ein komisches Gefühl war das.
    Daraufhin habe ich einige Psychologen angerufen, tatsächlich hat sich eine zurück gemeldet. Nächste Woche habe ich das Erstgespräch. Es finden dann Gruppensitzungen statt. Desweiteren werde ich Kurse zur Stressbewältigung, Burnout usw besuchen. Gegebenenfalls auch Selbsthilfegruppen.
    Heute habe ich noch einen Termin beim Hausarzt, ich bin gespannt, was er heute sagt.
    Ach ja , ich werde auch meine Arbeitsstelle wechseln, der Chef bleibt, aber eben anderer Ort und andere Mitarbeiter.
    Darauf freue ich mich schon.
    Es stimmt man soll damit offen umgehen, leider bin ich damit bei der besten Freundin nicht gerade auf Verständnis gestoßen.
    Zum Glück gibt es da auch andere Menschen, die es verstehen.
    Auch das durfte ich erleben.
    Sorry wegen des langen Textes.
    Liebe Grüße.
    Ich wünsche dir von Herzen alles Gute.
    Judith

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